Corona ist nicht nur ein gefährliches Virus. Corona ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Die Pandemie betrifft zwar alle, aber sie trifft alle unterschiedlich schwer. Sie trifft die Alten viel schwerer als die Jungen. Die Künstler und Hoteliers schwerer als die Beamten und Bauunternehmer. Den Süden mehr als den Norden. Die Familien mit kleinen Kindern mehr als die Familien mit großen Kindern. Die Singles härter als die Paare. Und wie immer trifft die Katastrophe die Armen ungleich mehr als die Reichen.
Vorfreude gibt’s zur Zeit nur in der vorläufigen Version
Nur in einer Hinsicht sind vor Corona alle Menschen gleich: 2020 mussten alle lernen, keine Pläne mehr zu machen. Und falls doch, das Herz nicht daran zu hängen. Vorfreude gibt’s zur Zeit nur in der vorläufigen, kein bisschen verlässlichen Version.
Als die Schweiz im Frühjahr erst die Lifte, dann das ganze Land dicht machte, war ich noch maßlos gefrustet, dass aus unserem Skiurlaub nichts werden würde. Kaum hatte die Familie sich darauf geeinigt, stattdessen mit dem Auto Richtung Osten ins Blaue zu fahren, machte auch Polen zu. Am Ende kamen wir in einem Ferienhaus an der Ostsee unter, aus dem wir gleich wieder abreisen mussten, weil auch Schleswig-Holstein die Grenzen schloss.
Rückblickend ist es mir peinlich, wie schwer es uns fiel, einzusehen, dass es nur ein einziges angemessenes Urlaubsziel gab: unser Zuhause. Und dass dieses Haus mit Garten ein Anlass für noch größere Dankbarkeit war als schon vor Corona. Für Hausbesitzer ist die Pandemie viel leichter auszuhalten als für Ein-Zimmer-ohne-Balkon-Bewohner.
Mittlerweile aber habe ich mich – wie so viele, die ich kenne – zur Meisterin gemausert, was den gelassenen Umgang mit geplatzten Plänen und die Kunst der Planlosigkeit angeht.
Egal. Hauptsache, wir sehen uns irgendwann wieder
Ob überhaupt und wohin wir im Sommer verreisten, haben mein Mann und ich eine Woche vor Urlaubsbeginn entschieden: Es blieb spannend bis zuletzt. Dass ich meinen Fünfzigsten ganz anders als geplant verbringen musste, war mir nicht mal mehr einen Hauch von Enttäuschung wert: nur Freude, ihn überhaupt feiern zu können. Wie viele Verabredungen, Veranstaltungen, Ausflüge, Besuche und Feste dieses Jahr schon ausgefallen sind, weil irgendwer der Beteiligten ein Kratzen im Hals verspürte oder erst mal ein Testergebnis abwarten musste oder weil die neusten Corona-Zahlen und -Regeln alte Pläne vereitelten, kriege ich nicht mehr zusammen:
Egal. Hauptsache, wir sehen uns irgendwann wieder.
Auch Weihnachten, dieses Fest der Rituale, dessen Charme (oder auch: Horror) darin besteht, immer exakt gleich abzulaufen, wird dieses Jahr für viele ganz anders aussehen als sonst: Wie ganz genau, das kann man erst wissen, wenn es so weit ist. Und auch wo und mit wem und auf welche Weise wir aufs neue Jahr anstoßen, ist noch längst nicht ganz sicher.
Nur eines steht fest: Wir werden einander Gesundheit wünschen und dass Corona 2021 endlich an Schrecken verliert und dass es bis dahin trotz allem immer wieder Anlässe gibt, fröhlich zu sein.
Was wir uns außerdem wünschen sollten: dass wir nie wieder vergessen, wie hinfällig menschliche Pläne sind. Und wie unendlich kostbar jeder schöne Augenblick ist.
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Die Erinnerungen und das Schreiben
Seit März 2020 sind andere Zeiten angebrochen. Da war ich ein paar Tage in Berlin. Erstaunlich leer war die Stadt. Der Flixtrain von Hamburg nach Frankfurt war auch sehr leer und so blitzeblank gewienert wie noch nie zuvor. I
Im Frankfurter Palmengarten ein festliches Abendessen des Art Director´s Clubs. Die Zeitschrift Missy bekam den Willy-Fleckhaus-Nachwuchs-Preis. Mein vorläufig letztes gesellschaftliches Event.
Und nun neun Monate später steht auf meinem Wandkalender nichts. Nur das ich alle zwei Wochen mit dem Treppe-Putzen dran bin. Schwer auszuhalten.
Morgens wache ich spätestens um vier auf und versuche, mich zu erinnern. Vor allem an die schönen Momente. Wie war es, als ich 16 war mit meinen Freunden? Die Anfangszeit mit meinem Mann, als wir frisch verheiratet waren. Die Zugfahrt von Rajasthan nach Goa. Fachsimpeleien mit Plattensammlern.
Bei Wikipedia lese ich die Lebensläufe von Goethe und Schiller. Und versuche, mir vorzustellen, wie der Alltag damals war. Und es scheint, wir haben es leichter und bequemer.
Jeder von uns kann seine Gedanken und Ideen mitteilen und verbreiten.
Renaissance des Lesens und des Schreibens. In schweren Zeiten ist ein (Online)-Tagebuch hilfreich.
Und wer Profi ist – wie Julia – hat in diesen Tagen genau den richtigen Beruf.
Und irgendwann machen wir wieder Pläne, die über 24 Stunden hinausgehen. Und dann gibt es neue frohe Erinnerungen.