Was mich sehr beschäftigt: in welchem Stil hierzulande darüber debattiert wird, wie weit die (deutsche) Unterstützung der Ukraine bei der legitimen Selbstverteidigung gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gehen darf. Oder sogar muss.
Ich persönlich finde die Argumente, die für die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine sprechen, überzeugender als die Argumente derer, die als Erst- und Mitunterzeichner des offenen EMMA-Briefes gegen diese Art von militärischer Unterstützung plädieren.
Ich finde aber auch:
Wer sich (wie ich, schweren Herzens) damit abgefunden hat, dass eine gewalt- und waffenfreie Weltordnung ein leider unrealistisches Ideal ist. Und dass man sich den Luxus eines solchen Ideals nur so lange leisten kann, wie sich alle Seiten halbwegs an die Spielregeln halten.
Wer zu der (deprimierenden) Überzeugung gekommen ist, dass Freiheit und Demokratie in einer Welt voller Freiheits- und Demokratiefeinde nur dann Bestand haben können, wenn es Menschen und Mittel gibt, um die diese Werte notfalls auch mit militärischer Gewalt zu verteidigen.
Wer pazifistische Positionen ablehnt,
muss fairer Weise die eigene konsequent ganz zu Ende denken
Wer also der Meinung ist, dass es (entsetzlicher Weise) Situationen gibt, in denen gemeinschaftliche Werte mehr zählen als der Wert eines einzelnen Lebens – denn nichts anderes bedeutet es ja, als Soldat und Soldatin seinen Staat, sein Land, seine wehrlosen Mitmenschen zu verteidigen.
Wer all dies denkt, muss meiner Meinung nach auch so fair und konsequent sein, diese Haltung bewusst ganz zu Ende zu denken.
Das heißt für mich: Wer pazifistische Positionen als unrealistisch und unmoralisch ablehnt, muss selbstverständlich bereit sein, selbst zu kämpfen, wenn es hart auf hart kommt.
Und nicht nur das.
Er muss, finde ich, laut bekennen: Auch wenn es mir das Herz zerreißen würde – falls nötig fände ich, dass auch mein Sohn, meine Tochter, mein Mann, meine Frau, mein Enkel, meine Enkelin, mein Vater, meine Mutter bewaffneten Widerstand leisten, sprich bereit sein sollten zu töten und getötet zu werden.
Und es werden keine Helden-Tode sein, die da gestorben werden. Denn der Begriff „Held“ ist im Zusammenhang mit Krieg ein blanker Euphemismus – erfunden, um denen, die zugunsten eines ideellen Gemeinschaftsziels ihren menschlichen Überlebensinstinkt überwinden müssen, ihr Opfer etwas leichter zu machen.
Und die jungen Soldatinnen werden die Freiheit ihrer Eltern und (ungeborenen) Kinder nicht blond und mit Blume im Haar verteidigen, so wie sie und zu Beginn des Ukraine-Krieges so gerne in dem Medien gezeigt wurden: Sie werden dreckig, verängstigt oder stumpf vor Entsetzen kämpfen und leiden und am Ende womöglich elend verrecken, schlimmstenfalls nachdem sie vom Feind brutal vergewaltigt wurden.
Meine Kinder sind 24 und 21.
Sie sind es, die ich mir in Uniform ausmale, wenn ich mir sage: Unterwerfung unter das diktatorische Regime eines Verbrechers ist keine Option. Nicht für die Ukraine, also – in vergleichbarer Situation – auch nicht für die, die die militärische Unterstützung der Ukraine befürworten.
Sich die eigenen Kinder als Soldat:innen vorstellen:
billiger ist eine nicht-pazifistische Haltung nicht zu haben.
Ich fange auf der Stelle an zu weinen, wenn ich mir meine Kinder so vorstelle, und zwar jedes Mal. Und gerade deshalb zwinge ich mich immer wieder dazu, das zu tun, bewusst – quasi um mich und meine Haltung zu prüfen: Billiger ist eine nicht-pazifistische Haltung nicht zu haben, finde ich.
Und erst Recht nicht billiger zu haben ist das Anrecht, pazifistische Positionen pauschal als feige, egozentrisch und friedenswohlstandsverwahrlost zu verhöhnen. Dazu aber neigen erstaunlicher Weise gerade viele Vorzeige-Linke, die dabei geradezu berauscht wirken vor lauter Überraschung über sich selbst – über ihr mutiges Bekenntnis zur militärischen Wehrhaftigkeit.
Ich bin allerdings nicht in jedem Fall sicher, ob dieses Bekenntnis nicht ein eher theoretisches ist: ein Mut, den sich manche nur deshalb leisten, weil sie (noch) davon ausgehen, selbst keine Waffe in die Hand nehmen und kein Kind in den Krieg schicken zu müssen.
Sagen wir mal so: Jenen Typen, die es vor allzu langer Zeit noch richtig fanden, Schulen Monate lang zu schließen, damit sie kein Corona bekommen, traue ich, was ihr Zeug zum „Heldentum“ angeht, in der Praxis nicht allzu viel zu.
Ja, ganz sicher gibt es viele Salon-Pazifisten.
Und genauso sicher gibt es gerade ziemlich viele Salon-Soldaten.
(Was ich selbst bin, weiß ich nicht – irgendwas dazwischen vermutlich, so wie die allermeisten Deutschen. Weil man eben nur Salon-Diskutantin sein kann, so lange man so warm und weich sitzt wie wir: Ich glaube, es würde die Debattenqualität verbessern, wenn wir alle so ehrlich wären, das vor uns selbst und den anderen einzuräumen.)
Photo by Austrian National Library on Unsplash