Vor den Ferien fühlte ich mich extrem erholungsbedürftig, präziser formuliert: Ich war völlig fertig – mit den Nerven und allem, was damit zusammenhängt. Ich war dauerhundemüde und ausgelaugt, ich litt unter diffuser Weinerlichkeit, gelegentlichem Herzpochen und, das war das Schlimmste, unter ständigem Ganzkörperjucken.
Ich wünschte mir nichts mehr herbei als die Ferien, in denen ich keine komatösen Kinder wecken, Gurken schälen, Klassenarbeiten unterschreiben und Sporttaschen ein- und auspacken müsste.
Noch stärker sehnte ich unseren Urlaub herbei, in dem ich nicht arbeiten, nicht einkaufen und nicht kochen müsste.
Gleichzeitig schossen mir die Tränen in die Augen, sobald ich daran dachte, was ich, obwohl dauerhundemüde, noch alles tun müsste, bevor ich in den Familienurlaub fahren könnte: Wanderstiefel, Regenjacke und endlich einen neuen Badeanzug kaufen.
Zum Hautarzt. Wäsche waschen, Koffer packen. Zum Friseur gehen, um mich wenigstens dieses Jahr auf den Fotos ertragen zu können. Kolumnen schreiben, arbeiten gehen.
Und: Sommerfeste feiern. Viele Feste. Sehr viele Feste.
Zum Hautarzt habe ich es vor dem Urlaub nicht geschafft, weil ich andauernd Feste feiern musste
Zum Hautarzt habe ich es vor dem Urlaub nicht geschafft, weil ich andauernd Feste feiern musste, das Jucken ist im Urlaub von selbst wieder verschwunden.
Inzwischen bin ich sicher, das Jucken war Symptom einer Sommerfest-Allergie. Als ich Schülerin war, ging man bis zum vorletzten Schultag zur Schule wie an jedem anderen Tag. Am letzten Schultag bekam man sein Zeugnis. Nachdem man das Zeugnis bekommen hatte, sagte man den Lehrerinnen und Lehrern, den Mitschülerinnen und Mitschülern Tschüs, die Lehrer und Mitschüler sagten auch Tschüs. Danach ging man erst nach Hause, wo die Mutter zur Feier des Tages etwas Leckeres gekocht hatte, dann ging man ins Freibad und hatte gute Laune. Heutzutage ist das anders.
Heutzutage reicht es nicht, am letzten Schultag Tschüs zu sagen. Heutzutage muss man vor den Sommerferien Abschluss- und Abschiedsfeste feiern, so als würde man sich nicht in sechs Wochen, sondern erst in einem nächsten Leben wiedersehen.
Dieses Jahr haben meine zwei Kinder Einladungen zu zwei Klassenfesten, zwei Fußballsaison-Abschlussfeiern, einem Abschiedskonzert, drei Abschlussaufführungen und einer Verabschiedungs-Preisverleihungs- Feier nach Hause getragen. Die eine Hälfte der Veranstaltungen fand zu Zeiten statt, zu denen kein normaler aushäusig arbeitender Mensch Zeit hat. Bei der anderen Hälfte der Veranstaltungen wurde gegrillt und das Mitbringen von Salat oder Kuchen erbeten. Ich bekam jedes Mal leichte Atemnot, wenn mir ein neues Schreiben mit der Anrede „Liebe Eltern“ vorgelegt wurde – von einem Kind, in dessen Blick ich die stumme Bitte „Du kommst doch, oder?“ las. Ich habe mich nur einmal getraut, Nein zu sagen. Für den Rest der Feste habe ich Arbeitszeiten gekürzt oder verlegt, Salate zubereitet oder Kuchen gebacken.
Drei oder mehr Kinder können wir uns
rein feiermäßig nicht leisten
Dabei habe ich gedacht: „Für den Fall, dass man Anfang Juni noch nicht völlig urlaubsreif ist, kann man sich darauf verlassen: Vor den Ferien wird das garantiert noch etwas.“ Drei oder mehr Kinder, diese Überzeugung wurde jetzt endgültig Gewissheit, können wir uns rein feiermäßig nicht leisten.
Auf den Festen, für die ich Salate gemacht und Kuchen gebacken habe, stand ich herum mit den anderen Eltern, während unsere Kinder spielten und sich einen feuchten Kehricht für unsere Anwesenheit interessierten. Die Erwachsenen aßen Salat und Kuchen und versuchten, Gesprächsstoff zu finden. Ein Thema, zu dem alle etwas zu sagen hatten, war das Thema Sommerfeste.
Man einigte sich darauf, dass die Zeit vor den Sommerferien schon fast so nervenaufreibend sei wie die Vorweihnachtszeit, man aber keine Erklärung habe, wie es so weit habe kommen können. Wir Deutschen, dachte ich, haben nichts dazugelernt. Erst sagen alle Ja und Amen, wenn irgendwer das erste Sommerfest vorschlägt, später behaupten alle, man hätte ja nicht ahnen können, dass das solche Ausmaße annimmt: „Das haben wir nicht gewollt!“
Unterm Strich kann man sagen, dass wir Eltern den Juli damit verbrachten, uns schon einmal vor dem Dezember zu gruseln.
Noch gut drei Monate.
Text: Brigitte 19/2008
Foto: Abbie Bernet auf Unsplash
Liebe Julia Karnick,
Das ist meine LIeblingskolumne. Von mir schon oft zitiert und ich muss auch jetzt wieder lachen.
Dennoch haben wir uns damals … 2008… getraut ein drittes Kind zu bekommen!
Mittlerweile sind die „Süßen“ 16,14 und 9. Irgendwann wird alles gut. Das sage ich mir nicht nur vor den Ferien, wo einem nicht nur rein feiertechnisch manchmal der Atem stockt!
Bitte bleiben Sie mit Ihrer Schreibe immer so wunderbar herzerfrischend!
Naja, man muss sich die Ferien ja auch hart verdienen! Geht mir auch so…
LG Sibylle
Das kennen alle Eltern um diese Jahreszeit, denen wichtig ist MIT ihren Klmdern zu Er-leben … liegt aber bisweilen an einfach zuviel Altivitäten fürs Klnd in der Wiche, statt einfach freier Spielzeit. Ein Bisschen also auch hausgemacht.
Amüsant geschriebener Artikel. Nur der kleine Querverweis im vorletzten Absatz ist nach meiner Ansicht unangebracht.
In diesem Sinne! Frohen Sommer noch!