2 Kommentare

  1. Nila E. Sebastian

    Liebe Julia Karnick,
    der Artikel ruft Erinnerungen aus meiner Kinderzeit wach. Meine Eltern hatten sich im Jugendbund für entschiedenes Christentum der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Eisenach kennengelernt. Diese Ge-meinschaft existiert noch immer, auch in Berlin. Ob sie evangelikal ist, weiß ich nicht, weil sie „inner-halb der Evangelischen Kirche“ ist, wo die Ehen geschlossen, die Kinder getauft und konfirmiert werden. Ihre Mitglieder grenzten sich als Gotteskinder von den Namenschristen, die nur zur Kirche gehörten, weil sie getauft und konfirmiert waren, von den „weltlichen“ Menschen ab. Bubiköpfe, tanzen, rauchen, Kino, Theater, sogar Zirkus waren weltlich. Es gab keine Standesunterschiede. Die nicht enger Befreundeten siezten sich und redeten sich mit Bruder oder Schwester an. Es war unwichtig, ob jemand als Dienstmädchen arbeitete wie meine Mutter oder wie Herr Stanger Bankdirektor war, deshalb hatte und habe ich nie Angst vor Höhergestellten. Entscheidend war, dass jemand sich bekehrt, die Sünden bekannt und sich entschieden hatte, Christus nachzufolgen und christlich zu leben.
    Ob ich vor meiner Einschulung 1942 das erste Mal den Kindergottesdienst besuchte, weiß ich nicht mehr, nur dass ich jeden Sonntagvormittag mit meinen jüngeren Geschwistern quer durch die Stadt zum Kindergottesdienst in der Barfüßerstraße lief. Am Anfang wurde ein Lied gesungen, Gott ist die Liebe, Wach auf mein Herz und suche Freud, In der Welt ist’s dunkel und viele andere. Dabei begleiteten uns Reinhard oder Paul-Gerhard K. am Harmonium. Dann sprach Tante Gertraud ein Gebet und anschließend erzählte sie eine Geschichte aus der Bibel. Wir hörten gespannt zu. Meistens las ich zuhause die Geschichte noch einmal. Allmählich kamen so viele Kinder, dass wir in zwei Gruppen aufgeteilt wurden.Tante Elisabeth unterrichtete erst die Großen, zu denen ich gehörte, dann tauschte sie mit Tante Gertraud. Nach der Sonntagsschule sprachen wir Kinder miteinander. Ein Mädchen erzählte von einem Konzertlager, in das die Juden und die Kommunisten gesperrt wurden. Etwas Genaues konnten wir uns nicht vorstellen. Einmal stieß ich auf dem Weg in den Kindergottesdienst mit der Stirne an eine Ecke des Briefkastens an der Wand des Gasthauses Grüner Braun und bekam eine Beule. Die Barfüßerstraße lag in einer besseren Gegend in der südlichen Stadt. Wir wohnten in der Nordstadt im Arbeiterviertel. Obwohl es nur zwanzig Minuten zu Fuß waren, war dort eine andere Welt. Hinter der Wandelhalle und dem Prinzenteich lag das Villenviertel und durch das Mariental ging es zur Wartburg. In den Siebziger Jahren habe ich mich von meinem Glauben verabschiedet, obwohl meine Mutter mich warnte, ich würde in der Verdammnis landen. Nach der Wende traf ich in Berlin in einem Workshop eine Tochter des Bankdirektors. Sie trug noch ihren Mädchennamen. Sie lehnte mich ab, weil ich sie an ihre Kindheit und ihre christliche Familie erinnerte.

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  2. Liebe Nila E. Sebastian,

    vielen Dank für Ihre Geschichte. Ich finde sie auch deshalb wichtig und interessant, weil sie zeigt, was bei allen aktuellen Diskussionen um den Islam immer wieder vergessen wird: dass auch das Christentum fundamentalistische Strömungen kennt, auch hierzulande. Und es gibt sie nach wie vor.

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