Lieber Harald,
donnerstags steckt Die Zeit bei uns im Briefkasten. Manchmal, heute zum Beispiel, ist das erste, was ich zum Kaffee aufschlage, das Zeit Magazin. Oft ist es Ihre Kolumne, die ich als erstes lese, so auch heute. Wenn ich Ihre Kolumne als erstes lese, dann deshalb, weil ich so neugierig bin, ob ich mich mal wieder über sie (und Sie) aufregen muss.
Heute Morgen also habe ich Ihre aktuelle Kolumne „Über bequeme Tugenden“ gelesen und habe festgestellt: Diese Woche muss ich mich nicht aufregen. Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Sie für das Phänomen virtue signalling ein paar knackige Beispiele auch aus dem rechten Gesinnungsspektrum aufgeführt hätten, statt wieder mal fast nur auf den Linken rumzuhacken.
Ich habe außerdem festgestellt:
Ich komme in der Kolumne vor. Einen ganzen Absatz haben Sie mir und einem Kommentar gewidmet, den ich neulich zu einem (Martenstein-kritischen) Post von Karla Paul auf Facebook hinterlassen habe. Der Absatz lautet:
„Ich war überrascht, als ich den Post von Julia Karnick las, die mal eine gute Kolumne für Brigitte geschrieben hat. ‚Als ich [im ZEIT-Magazin] Tillmann Prüfers neue Kolumne über seine Töchter gesehen habe, bin ich richtig wütend geworden. Eine neue Kolumne wäre die Gelegenheit gewesen, mal eine junge Frau selbst schreiben zu lassen – auch als Gegengewicht zu Martenstein. Stattdessen darf nun ein Vater über die jungen Frauen in seiner Familie schreiben.’ Wenn alle nur noch über ihresgleichen schreiben, dann wird es schnell langweilig, Julia. Schwebt Ihnen ein Apartheidsystem vor? Getrennte Zeitungen, Parkbänke und Aufzüge? Hat sich auch nicht bewährt. Wir werden einander wohl aushalten müssen.”
Wenn Sie mich in Ihrer Zeit-Kolumne so persönlich ansprechen, Harald, dann antworte ich Ihnen natürlich gerne. Sehr gerne hätte ich auch gleich und direkt mit Ihnen auf Facebook diskutiert zu diesem Thema. Aber dort lesen Sie ja anscheinend nur still und heimlich mit, was andere so über Sie denken und schreiben. Oder Sie lassen mitlesen?
Zunächst:
Keine Sorge, ich gehöre zu denen, die Sie sehr gut aushalten, auch wenn ich mich immer mal wieder sehr über Ihre Texte ärgere. Das stört mich aber gar nicht weiter, im Gegenteil. So wie es auch Sie nicht stören dürfte, wenn ich und viele andere Menschen sich sehr ärgern über manche Ihrer Texte. Schließlich betrachten Sie es als Ihre Aufgabe zu provozieren. So habe ich jedenfalls verstanden, was Sie letztes Jahr in einem Martenstein-Porträt der Süddeutschen Zeitung sagten:
„Wenn Leute sagen: Wir sind so schutzbedürftig, über uns dürfen keine Witze gemacht werden, dann ist das für mich ein Aufruf, sie zu desensibilisieren. Und diese Dienstleistung erfülle ich gerne.“
Im Übrigen: Wir kennen wir uns persönlich, und diesen persönlichen Kontakt empfand ich stets als ausgesprochen angenehm (und kurzweilig). Sie haben sich mir gegenüber immer sehr kollegial, nicht nur höflich und respektvoll, sondern freundlich verhalten, und das, obwohl ich – diese Hierarchie gibt es nun mal in unserer Branche – „nur“ für eine Frauenzeitung schrieb.
Das unterscheidet Sie übrigens deutlich von sehr vielen anderen, männlichen Kollegen eher linksliberaler Couleur, die mir und meinen Kolleginnen gegenüber eine gewisse Geringschätzung oft nur schwer verbergen konnten und können.
Ihre Kolumnen eignen sich sehr gut dafür zu üben,
die Welt mit den Augen der anderen zu sehen
Weil ich der Meinung bin, dass man meinungsmäßig nicht immer nur im eigenen Saft schmoren sollte, habe ich mir angwöhnt, über Texte, Haltungen, Meinungen, die mich besonders ärgern oder gar zutiefst empören, besonders gründlich nachzudenken. Ich übe sehr gerne, die Argumente derer nachzuvollziehen, die die Welt offenbar völlig anders sehen als ich selbst – weil ich diese Fähigkeit für essenziell halte für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Dafür eignen sich Ihre Kolumnen sehr gut.
(Wobei ich – wie ich schon oben schrieb und Ihnen schon immer mal sagen wollte – finde, dass Sie echt allmählich auch mal öfter dem rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Millieu was zum Üben geben sollten. Das würde Ihrer Glaubwürdigkeit als bürgerlichem Desensibilisierer vom Dienst sehr, sehr gut tun.)
Tatsächlich komme ich beim Nachdenken zum Beispiel über Ihre Kolumnen manchmal zu dem Schluss, dass Sie Recht haben. Zumindest ein bisschen. Und manchmal komme ich trotz Nachdenkens zu dem Schluss, dass ich sehr, sehr anderer Meinung bin und bleibe als Sie.
Ich bleibe zum Beispiel dabei, dass ich als neue Kolumne im Zeit Magazin viel lieber eine von einer (jungen) Frau geschriebene Kolumne läse. Und zwar nicht, weil ich etwas gegen Tillmann Prüfer oder andere (nicht mehr ganz junge) Männer habe, nein. Ich bin sogar mit einem verheiratet. Mit diesem – zu seinem eigenen Bedauern – gar nicht mehr jungen, weißen Mann fahre ich nur selten Aufzug. Aber ich sitze recht oft zusammen mit ihm auf ein- und derselben Bank und teile mir mit ihm die Zeit, wobei wir uns gelegentlich darum streiten, wer als erstes den Politikteil lesen darf.
Aber nun mal ernst und sachlich.
Sie wissen so gut wie ich, dass eine in Ich-Form geschriebene Namens-Textkolumne die Marke eines Magazins stark prägt – und zwar weitaus stärker als es andere Formate tun. Soweit mir bekannt, will das Zeit Magazin Frauen und Männer, Jüngere und Ältere gleichermaßen ansprechen. Darum verstehe ich nicht, was dagegen spricht, zwei Kolumnen im Heft von einem (älteren) Mann und einer (jüngeren) Frau schreiben zu lassen, statt von zwei Männern. Im Gegenteil, es spräche alles dafür! Und zwar nicht aus ideologischen Gründen. Nicht weil junge Frauen per se toll und ältere Männer doof sind. Sondern aus Gründen der so genannten Heftmischung, also aus professionellen Gründen.
Mir fällt kein guter Grund dafür ein,
warum Männer und Frauen nicht gleich präsent sein sollen
in einem Magazin für alle
Bei der Brigitte jedenfalls wird bei jeder Heftplanung darüber nachgedacht, ob die Themenmischung in vielerlei Hinsicht – also auch was das Geschlecht der Menschen, die in diesem Heft vorkommen – stimmig ist.
Weil es sich um eine Frauenzeitung handelt, wird darauf geachtet, dass nicht zu viele Männer in einem Heft sind. In der Redaktion eines Männermagazins achten die Kollegen vermutlich – und zurecht – darauf, dass nicht zu viele Frauen in einem Heft vorkommen. Und von der Redaktionsleitung eines Magazins, das sich an alle richtet, erwarte ich im Jahr 2018, dass man darauf achtet, dass Männer und Frauen im Heft gleich präsent sind. Auch und gerade bei den so prominenten Text-Kolumnen. Es wird nämlich ansonsten schnell langweilig.
Wenn ich also den Eindruck habe, dass die Mischung nicht wirklich ausgewogen ist, wenn also zum Beispiel im Zeit Magazin neben Ihrer Kolumne eine neue eingeführt wird und es wieder ein Mann ist, der sie schreibt, zwar über seine Töchter, aber eben aus einer männlichen Perspektive und unter einem männlichen Namen, dann frage ich mich: Why?
Und die möglichen Antworten, die mir einfallen, machen mich wütend:
Weil es keine (jungen) Journalistinnen gibt, denen man einen solchen Job zutraut? Weil die männliche Perspektive interessanter ist als die weibliche? Weil es Männer sind, die das Sagen haben und ein extrem prestigeträchtiges Format wie das einer Magazin-Kolumne lieber an ihresgleichen vergeben?
Ich gebe aber gerne zu, meine Wut beruht auf Unterstellungen. Klären Sie mich also gerne darüber auf, wie es wirklich ist.
Herzliche Grüße, Julia Karnick
P.S. Das ist jetzt lang geworden. Aber für differenzierte Texte zu kontroversen Themen braucht man eben manchmal mehr Platz als für kolumnentaugliche Zuspitzungen.
Autsch, autsch, autsch – schön pariert, liebe Julia.
Zu viel der Ehre für Herrn Martenstein. Ich finde, so sollte man nicht über ihn schreiben.
Liebe Julia,
klar & wunderbar. Die Töchter-Kolumne im ZEIT-Magazin ist ärgerlich. Und Martensteins Gedanken zu Deinem Post waren einfältig.
Wer Zeit und Süddeutsche liest, der lebt irgendwann zwangsläufig in einer Blase und wird den Blick für die Realität verlieren, denn das ist wirklich linke Propaganda. Viele linke Ideen sind wirklich gut, aber sobald man sieht, dass jemand diese Blätter abonniert hat und bereits selbst völlig nach deren Linie argumentiert weiß man, dass deren Sichtfeld stark eingeschränkt ist. Auch so dumme Propaganda-Begriffe wie „Mansplaining“ solltest du aus deinem Wortschatz streichen. Viele Gedanken aus deiner Seite sind nicht unintelligent und eines solchen Duktus eigentlich unwürdig. Bewahr dir dein kritisches Denken und hör auf die von anderen sagen zu lassen, was kritisch ist.
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