«Bei der Verteilung von Kolumnen geht es um Sichtbarkeit,
damit um Karrierechancen und Geld, letztendlich also um Macht.»
Prof. Elizabeth Prommer, Medienwissenschaftlerin
1. Der Anlass
Vor knapp zwei Jahren führte das ZEIT-Magazin zusätzlich zu Martenstein eine zweite von einem Mann geschriebene Kolumne ein: Prüfers Töchter. Mich als ZEIT-Leserin ärgerte das. Ich hätte lieber die Kolumne einer Frau gelesen, die jede Woche über gesellschaftspolitische oder auch private Themen schreibt.
Seit damals beobachtete ich die Kolumnen-Landschaft aufmerksamer, als ich es bis dahin getan hatte, und wurde in meiner Vermutung bestärkt: Die prominentesten Kolumnen in den größten Printmedien werden hierzulande vor allem von Männern geschrieben.
Umso erfreuter war ich, als ich auf Twitter das hier las:
»Freie Radikale« heißt die neue SZ-Magazin-Kolumne von @fraeulein_tessa. Die erste Folge erscheint im SZ-Magazin-Sonderheft »Super, Frauen«! Ab Dienstag am Kiosk und auf https://t.co/n2bEqmfcQA -> jetzt vorbestellen! pic.twitter.com/OTqTdN80Y1
— SZ Magazin (@szmagazin) November 9, 2019
Leider war mein erster Eindruck falsch: Teresa Bückers Kolumne Freie Radikale würde ausschließlich online erscheinen. Nur der Auftakttext wurde gedruckt – in einem jährlich erscheinenden, monothematischen Sonderheft, das sich diesmal dem Thema „Super, Frauen!” widmete.
(Edit: In der ersten Version dieses Beitrages, stand, es hätte sich um das „Frauenheft“ gehandelt, das das SZ Magazin zwei Mal im Jahr herausbringt. Diese Information war falsch.)
Auch dieser Fall erhärtete meinen Verdacht: Wenn Frauen Kolumnen für die Medienmarken mit der größten Reichweite und dem größten Renommee schreiben, dann meist online – und viel seltener für Print. Ich beschloss, zu diesem Thema zu bloggen.
2. Die Liste
Als erstes benötigte ich eine möglichst vollständige Kolumnist:innnen-Übersicht:
BRAUCHE EURE HILFE! Welche Namens-Kolumnen von Frauen in überregionalen dt PRINT-Medien kennt ihr? Also regelmäßig, in jedem Heft oder 1x wöchentlich erscheinende Meinungsbeiträge im Wechsel mit höchstens einer:em anderen Autor:in. Keine Frauenzeitungen! #followerpower https://t.co/7GK8lu36DZ
— Julia Karnick (@JuliaKarnick) November 10, 2019
So entstand eine Liste dazu, wer aktuell Kolumnen schreibt in den größten überregionalen politischen Printmedien, also in den Zeitungen mit dem stärksten gesellschaftlichen Einfluss. In jener Übersicht erkläre ich auch, warum ich andere, ebenso wichtige kommentierende Textformate wie den Leitartikel hier nicht berücksichtige.
3. Die Auswertung
Von den 45 Kolumnen, die mindestens einmal pro Woche (Tageszeitungen) oder in jeder Ausgabe (Wochenzeitungen) erscheinen und stets von derselben Person verfasst werden, stammen:
- 35 Textkolumnen von Männern;
- 8 Textkolumnen plus eine Grafik- und eine Cartoon-Kolumne von Frauen.
- Das bedeutet: Rund 78 Prozent der mindestens einmal wöchentlich publizierten Print-Kolumnen stammen von männlichen Autoren, nur gut 22 Prozent von Frauen. Bezieht man in diesen Vergleich ausschließlich die Textkolumnen ein, so verschlechtert sich das Ergebnis auf 82 zu 18 Prozent.
(Edit: Die ersten Version dieses Beitrages beruhte auf einer unvollständigen Liste: Es fehlte die Wirtschaftskolumne von Bettina Weiguny in der FAS. Ich habe die Liste ergänzt und das Ergebnis in diesem Beitrag entsprechend von 83 Prozent Text-Printkolumnen von Männern auf 82 Prozent korrigiert.)
Die am häufigsten erscheinenden Kolumnen widmen sich folgenden Oberthemen – in absteigender Reihenfolge:
- Männliche Autoren: 15 Politik/Gesellschaft, 8 Psychologie/Leben, 3 Living/Mode/Reise/Kunst, 2 Wirtschaft, 2 Kochen, 2 Technik/Netz, Recht: 1, Medien, 1 Sport, 1 Wissen;
- Weibliche Autorinnen: 5 Living/Mode/Reise/Kunst, 2 Politik/Gesellschaft, 1 Psychologie/Leben, 1 Kochen, 1 Wirtschaft, 0 Technik/Netz, 0 Sport.
- Das bedeutet: Deutlich über ein Drittel jener Kolumnen, die mindestens wöchentlich erscheinen und von Männern geschrieben werden, widmet sich gesellschaftspolitischen Themen. Nur ein Siebtel behandelt Themen aus dem Bereich Lebensart. Ganz anders bei den von Frauen verfassten Kolumnen:
Nur drei von neun befassen sich (auch) mit gesellschaftspolitischen oder Wirtschafts-Themen, eine davon ist die Grafik-Kolumne. Zwei Drittel der Kolumnen, die von Frauen geschrieben werden, beschäftigen sich mit den Themenbereichen Stil, Living, Reisen, Kochen und Kunst.
Manche Kolumnen werden im Wechsel von zwei Personen geschrieben. Nach Geschlecht kategorisiert gibt es derzeit folgende Autor:innen-Konstellationen in den größten deutschen Medien:
- 3 Kolumnen, die im Wechsel von zwei Männern geschrieben wird;
- 10 Kolumnen, die im Wechsel von einer Autorin und einem Autor geschrieben werden;
- 1 Kolumne, die im Wechsel von zwei Frauen geschrieben wird.
- Das bedeutet: Wenn Frauen Kolumnen schreiben, dann sehr viel häufiger im Wechsel mit einem Mann als alleine. Während es nicht unüblich ist, dass zwei Männer sich einen Kolumnenplatz teilen, gibt es nur ein einziges Frauen-Duo dieser Art – in der taz, die ohnehin mit Abstand die meisten nicht-männlichen Kolumnist:innen hat. Allerdings gilt auch in der taz: Die beiden einzigen Kolumnen, die jede Woche und immer von derselben Personen stammen, werden von Männern geschrieben.
Drei Kolumnen erscheinen vierzehntägig: zwei Kolumnen von Autoren und eine Kolumne von einer Autorin.
Am ausgeglichensten ist das Geschlechterverhältnis im Durchschnitt bei jenen Kolumnenformaten, die im Wechsel von drei oder vier Autor:innen geschrieben werden.
4. Warum ausgerechnet Kolumnen?
Weil eine erfolgreich etablierte Kolumne mit besonderen, beruflichen Privilegien verbunden ist:
- Eine Kolumne ist üblicherweise nichts, worum man sich per Akquise bemühen kann: Kolumn:istinnen werden ”gemacht”. Redaktionen fragen dafür solche Autor:innen an, denen sie zutrauen, bei der Zielgruppe ein besonders großes Interesse zu wecken, weil ihre Gedanken so scharfsinnig sind, ihr Schreibstil unverwechselbar ist und/oder ihr Humor besonders lustig. Es ist eine Auszeichnung, zur Kolumnist:in berufen zu werden. Die Auszeichnung ist umso größer, je wichtiger das Medium, in dem die Kolumne erscheint.
- Eine Kolumne ist – zumindest nach klassischer Definition – kein unregelmäßig erscheinendes Format, sondern eine Rubrik, die einen dauerhaften und erwartbaren Platz im Medium hat. Eine solche Rubrik zu schreiben bedeutet für freie Autorinnen zumindest eine kleine finanzielle Sicherheit.
- Als erfolgreiche Kolumnist:in bist du deinem Publikum namentlich bekannt. Die Leser:innen rechnen mit deinen Texten, weil sie mögen, was du denkst und wie du schreibst – oder auch weil sie sich so gerne darüber aufregen. Wie auch immer: Sie würden es bemerken oder dich sogar vermissen, wenn du fehltest. Dazu Elizabeth Prommer, Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaften und Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock:
„Printmarken sind mit den bekanntesten ihrer Kolumnisten und Kolumnistinnen untrennbar verbunden, wobei deren Namen schließlich oft selbst zu Marken werden. Das klappt umso besser, je größer ihre Sichtbarkeit in der Zeitung oder Zeitschrift ist, also je länger, häufiger und prominenter sie im jeweiligen Medium zu lesen sind.”
- Eine eigene Kolumne zu haben, eröffnet darüberhinaus oft weitere berufliche Möglichkeiten, erläutert Elizabeth Prommer:
„Ist ein Kolumnist oder eine Kolumnistin erst mal zu einer Marke geworden, resultieren daraus neue Einkommensquellen zum Beispiel in Form von Buchverträgen und daraus folgend Lesungen, mit denen man zum Teil gut verdienen kann.”
Eine Kolumne ist also potenziell mit hohem kollegialem Ansehen, öffentlicher Bekanntheit, einem regelmäßigem Verdienst und neuen beruflichen Chancen verbunden. Dies gilt umso mehr, je größer Reichweite und Renommee des Mediums, in dem sie erscheint.
5. Warum nur Print?
Das haben mich schon viele gefragt und hinzugefügt: „Wo doch Online mindestens so wichtig, vielleicht sogar viel wichtiger ist als Print, zB weil man dort eine deutlich größere, potentiell sogar unendlich große Reichweite hat?”
Meine Antwort:
Ja klar, Online gewinnt gegenüber Print immer mehr an Bedeutung – inhaltlich wie wirtschaftlich. Auch rufen Online-Texte dank der Sozialen Medien oft eine sehr viel größere mess- und sichtbare Resonanz hervor als Texte, die gedruckt erscheinen. Deshalb herrscht innerhalb der jeweiligen Filterblasen, in denen diese Online-Texte gelesen, geteilt und kommentiert werden, oft die Überzeugung vor, Print habe gegenüber Online inzwischen eine zweitrangige Bedeutung.
Ich aber glaube, dass Print nach wie vor (und trotz anderslautender öffentlichen Bekundungen) branchenintern ein größeres Renommee besitzt als ausschließlich online veröffentlichte Texte.
Meine These stütze ich auf folgende Argumente:
- Trotz Print-Krise ist die Reichweite der größten Printmedien immer noch riesig, wie man der Kolumnen-Übersicht entnehmen kann. Noch entscheidender: Mit Print erreicht man diejenigen am sichersten, die in der Gesellschaft nach wie vor am mächtigsten sind. Dazu die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer:
„Gerade die Männer über Fünfzig, die nach wie vor über das meiste soziokulturelle Kapital und damit die größte Macht verfügen, sind online kaum unterwegs, sondern lesen weiterhin vor allem Gedrucktes. Für die Sichtbarkeit einer Autorin oder eines Autors in den wirklich einflussreichen Teilen unserer Gesellschaft ist also Print nach wie vor am bedeutendsten. Dagegen wird die Bedeutung von Online in den Sozialen Medien oft überschätzt.”
- Dafür, dass Print in der Branche als dasjenige Medium gilt, in dem der qualitativ hochwertigere Journalismus zu Hause ist, spricht auch dies: Die wichtigsten, für Karrieren förderlichsten Journalistenpreise wie der Henri Nannen- und der Reporter-Preis werden ganz überwiegend für Print-Texte vergeben.
- Print-Redakteur:innen verdienen oft immer noch deutlich mehr als Online-Redakteurinnen, selbst wenn sie für dieselbe Medienmarke arbeiten. Das Gleiche gilt für freie Autor:innen: Online-Texte werden meist (noch) schlechter bezahlt als Texte, die (auch) gedruckt erscheinen. Der kapitalistischen Logik folgend gilt auch in den Medien: Geld und Status korrelieren miteinander. Nicht nur wird derjenige am besten bezahlt, dessen Leistung am höchsten geschätzt wird. Es genießt umgekehrt auch dessen Arbeit die größte Achtung, der dafür das meiste Gehalt/Honorar bekommt.
- Der entscheidende Grund dafür, dass ich hier nur Print-Kolumnen zähle, ist jedoch dieser: Print ist – anders als Online – eine strikt begrenzte Ressource, denn eine Zeitung hat nur eine bestimmte Anzahl von Seiten. Die Redaktionen müssen sich entscheiden, wie sie diese Ressource unter den Autor:innen und Themen verteilen.
Entscheiden sie sich für den einen Text, so entscheiden sie zugleich gegen einen anderen. Das heißt auch: Jede von einer Frau geschriebene Kolumne kann nicht von einem Mann geschrieben werden. - Dagegen ist das Netz ist ein quasi unbegrenzter Raum. Ein digitales Medium könnte theoretisch – hätte es nicht einen begrenzten Honorar-Etat – unendlich viele Kolumnistinnen und Kolumnisten gleichzeitig beschäftigen. Ergo: Im Netz muss kein Mann zugunsten einer Frau auf Privilegien verzichten.
- Außerdem lässt sich das Risiko, dass eine neue Kolumne bei den Leser:innen auf zu geringes Interesse stößt, online leichter minimieren: indem eine Redaktion eine Autorin anwirbt, die sich in den Sozialen Medien bereits eine sehr große Bekanntheit erarbeitet hat. Ihre Auftraggeber können darauf setzen, für das von ihnen investierte Kolumnenhonorar nicht nur einen Text zu bekommen, sondern die Klicks zigtausender Follower:innen. In Print dagegen muss man den Ruf eine:r Kolumnist:in erst aufbauen, jedenfalls sofern es sich nicht um eine auch jenseits der digitalen Sphäre bekannte Persönlichkeit handelt.
6. Das Fazit
Es gibt viele prominente und erfolgreiche Online-Kolumnistinnen. Es gibt sehr viel weniger ebenso prominente und erfolgreiche Print-Kolumnistinnen.
Warum?
Offenbar lassen die Medien Frauen sehr bereitwillig auf der quasi unbegrenzt großen digitalen „Spielwiese“ mitspielen. Schließlich muss kein Mann dafür den Preis eines Privilegien-Verzichts zahlen. Ganz besonders gerne machen Redaktionen Frauen zu Online-Kolumnistinnen, die sich im digitalen Raum bereits eine große Bekanntheit erarbeitet haben. Sie profitieren so quasi risikolos von der Online-Prominenz, die sich diese Autorinnen oft über Jahre hinweg und meist unentgeltlich erarbeitet haben.
Die begrenzte, branchenintern mit besonderem Renommee verbundene und kostenintensivere Ressource Print wird – wenn es um ein so privilegiertes Format wie die Kolumne geht – nach wie vor bevorzugt unter Männern aufgeteilt.
Übrigens: Die einzige Print-Kolumnistin in Deutschland, die wöchentlich in einer überregionalen Zeitung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen Stellung nimmt, ist Margot Käßmann in der Bild am Sonntag – also in einer Zeitung, die mit Marion Horn bis vor kurzem eine Chefredakteurin hatte.
Danke und weitet so. Ich schaue auch in Print- oder Onlinemedien und bin immer wieder verblüfft! Offenbar denken die Redakteure, dass nur Männer lesen! Je älter ich werde, desto weniger Geduld habe ich! Nicht locker lassen!
Lange Jahre gab es in der Lokalausgabe der Nürnberger Nachrichten für Herzogenaurach eine Kolumne, in der unter dem „Decknamen“ ERHard Männer UND Frauen schrieben.
Und mit Anette Röckl hat die NN eine Spitzenklasse Kolumnistin.