Nachdem unser Haus fertig war und ich noch viel fertiger als das Haus, wurde ich oft gefragt: „Und? Würdest du noch mal bauen?” Antwort: „Never ever!” Aber ich habe es doch noch mal getan – kein echtes Haus, aber immerhin ein Blog. Und ich weiß jetzt: Der Blogbau ähnelt dem Hausbau, man durchläuft vergleichbare Phasen.
Phase 1: Man ist sich total sicher, nichts Eigenes zu brauchen. Es reicht doch, Texte in Print-Magazinen wohnen zu lassen! Wozu ein Blog? Kostet nur Zeit, Energie und unter Umständen sogar Geld.
Phase 2: Der allmählich erwachende Blog-Neid. X hat jetzt auch einen, Y schon lange, Z denkt drüber nach. Gut sehen sie aus, die Blogs der anderen, man besucht sie gerne, und jedes Mal denkt man: Wäre es – in Zeiten von digitaler Revolution und Print-Krise – nicht doch eine vernünftige, ach, geradezu zwingende Investition, sich als Schreiberin endlich auch eine Online-Präsenz zuzulegen? Außerdem: Je älter man wird, desto größer die Sehnsucht nach einem Ort, an dem man tun und lassen kann, was man will.
Phase 3: Man erkundigt sich bei Leuten, die es besser wissen, als man selbst, wie das denn so geht, die Sache mit dem Bloggen. Man hört: „Das ist eigentlich total einfach”. Man weiß zwar, dass Minus mal Minus Plus ergibt und dass das Ergebnis von „einfach“ plus „eigentlich“ immer „ziemlich kompliziert“ lautet, trotzdem beschließt man: Ich will endlich auch!
Man googelt „Blog Anfänger“ und steht wie der Online-Ochse vorm Suchergebnis-Berg. Man klickt diesen und jenen Link, liest hier und da rum und denkt: Den Blog mit Texten vollzustellen, das kriege ich noch hin. Aber erst mal muss er ja gebaut werden, bevor man ihn vollstellen kann, und dazu braucht man ein paar grundlegende technische Kenntnisse: Hosting? WordPress? Themes? Plug-ins? Widgets? Schluck. Vielleicht lass ich’s doch lieber.
Wieso schien die neue Technik meinem Vater mehr Sorgen als Spaß zu bereiten, warum legte er nicht einfach los, was sollte schon Schlimmes passieren?
An diesem Punkt erinnerte ich mich an jenen Moment in meiner Kindheit, in dem mein Vater mir ganz plötzlich uralt vorkam, obwohl er erst in seinen Fünfzigern war. Irgendein neues technisches Gerät war in unseren Familienhaushalt eingezogen, ein Fernseher oder eine neue Stereoanlage. Mein Vater saß davor, in der Hand die Fernbedienung, und las die Gebrauchsanleitung. Es machte mich irre, wie gründlich er das tat.
Alle 30 Sekunden versuchte ich, ihm die Fernbedienung zu entwinden mit den Worten: „Gib mal her, ist doch ganz einfach!“ Aber mein Vater zog die Fernbedienung weg und sagte: „Nein, ich habe noch nicht alles verstanden.“ Wieso brauchte er so endlos, um zu verstehen, hatte ich mich gefragt, wieso schien die neue Technik ihm mehr Sorgen als Spaß zu bereiten, warum legte er nicht einfach los und probierte aus, wie es geht, was sollte denn schon Schlimmes passieren? Während mein Vater las und las, kam ich zu dem Schluss: Er war alt.
Inzwischen bin ich selbst 47 und ertappe mich immer öfter dabei, neuer Technik eine genauso große Befangenheit zu entwickeln wie mein Vater damals. Nein, noch älter, mein Vater hat sich immerhin durchgebissen. Ich dagegen gebe die Fernbedienung total bereitwillig aus der Hand, wenn meine schon großen Kinder in der Nähe sind. Nein, ich dränge sie ihnen geradezu auf: „Hilfe! Apple TV funktioniert nicht! Macht das heil!” Das fiel mir ein, als ich in Phase 3 vor dem Computer saß und aufgeben wollte. Ich dachte: Wenn ich so weitermache, können die Kinder niemals ausziehen. Ich dachte: Ich bin erst 47, ich habe noch viele Berufsjahre vor mir, und deshalb werde ich mich jetzt zusammenreißen und mich auf etwas für mich ganz Neues einlassenen.
Es folgte Phase 4: Hin und her überlegen, wie und mit wem man bauen möchte. Will man das – die kostengünstigste Lösung – ganz alleine tun, ohne jede Hilfe? Oder lieber mit professioneller Beratung und Anleitung? Oder baut man – die teuerste Variante – mit Webdesignerin, die einem einen ganz individuellen Blog entwirft und einrichtet, so dass man mit seinen Texten nur noch einziehen muss? Ich beschloss, meinen Blog selbst zu bauen, mir aber dabei helfen und erklären zu lassen, wie das geht – und zwar von einem Profi. Den, den ich schließlich gefunden und – zusammen mit vier Kolleginnen, die ebenfalls das Blogbauen lernen wollten – engagiert habe, empfehle ich wärmstens weiter: Gute Handwerker sind ja Gold wert.
Phase 5: Endloses Grübeln darüber, wie das Blog aussehen soll. Modern oder verspielt, minimalistisch oder opulent, viel oder wenig Raum für Bilder, ganz weiß oder mit Farbe? Welche Ausstattung, welche Funktionen, wieviele Menupunkte, welche Schrift? Was beim Hausbau das Fertighaus, ist beim Blog das Theme: eine Layout-Vorlage für Websites, die man – allerdings oft sehr begrenzt – an seine Bedürfnisse anpassen kann. Im Netz gibt es tausende Themes zur Auswahl, viele gratis, andere – die so genannten Premium-Themes – kosten etwas: Ich habe halbe Nächte damit verbracht, sie zu sichten. Dann gibt es noch die Plug-ins – Anbauten, mit denen der Blog-Bauherr sein Fertighaus aufpeppen kann: Programme, die das Theme um Funktionen erweitert, die in seinem Lieferumfang nicht enthalten sind. Und immer wieder die Frage: Brauche ich das wirklich?
Beim Blogbau ist es wie beim Hausbau: Wenn man erst mal drin wohnt, merkt man, dass nicht alles hundertprozentig perfekt sein muss, damit man sich wohlfühlen kann
Phase 6: Der eigentliche Hausbau. Große Aufregung. Sorge, ob das wirklich klappen kann. Hoffnung: Das haben ja schon x-Millionen vor dir geschafft. Vor allem aber: ganz viel Spaß daran, etwas völlig Neues zu lernen, eine ganz fremde Welt zu erobern, da fühlt man sich doch gleich dreißig Jahre jünger. Ab und zu geht was schief. Manche Vorstellung, wie das Blog aussehen oder funktionieren soll, erweist sich als unrealistisch. Einiges ist toll geworden, anderes: naja. Die Bauherrin entdeckt immer wieder kleine Mängel, grübelt, schläft schlecht, mailt dem sehr geduldigen Bauleiter jeden zweiten Tag und fragt: „Kann man das besser machen?” Manchmal antwortet der Bauleiter Ja. Manchmal Nein. Manchmal: „Vielleicht, ist aber kompliziert.”
Und dann: Einzugsfertig. Die Ahnung, dass es beim Blogbau genauso ist wie beim Hausbau: Wenn man erst mal drin wohnt, merkt man, dass nicht alles hundertprozentig perfekt sein muss, damit man sich wohlfühlen kann. Bauherrinnen-Stolz. Einweihungsparty. Kommt und schaut euch um, freut euch mit mir auf die Zukunft in meinem neuen, digitalen Eigenheim. Seid herzlich willkommen!
Es sieht fantastisch aus, dein digitales Haus!
Danke, liebe Michèle! Ein Lob vom Profi zählt natürlich zehnfach.
AutorinSchön hast du’s hier, Julia! Glückwunsch zum Einzug. Oh, jetzt will ich auch ein eigenes Texthaus!
Liebe Karina,
Autorindas ist ganz einfach, eigentlich! Ich wünsche dir ein frohes Neues!
Wirklich gut geworden und der Vergleich mit dem Haus Bauen gefällt mir auch gut. Kenne das gut, was würde ich beim Blog Schreiben ohne Fertighaus, ähm ich meine natürlich Theme, machen …? Das ist ja schon die halbe Miete (damit ich jetzt noch was zu dem Metaphern-Konstrukt beitragen kann).
Liebe Julia,
das ist ein fantastisches Eigenheim geworden. Ich werde immer mal wieder, unangemeldet, zu Besuch kommen. 😉
Mir ist es vor drei Jahren ähnlich ergangen. Unter den skeptischen Blicken meines Mannes und meiner zwei pubertierenden Töchter, habe ich mir ein digitales Zuhause geschaffen. Nach dem Ende meiner redaktionellen Arbeit, wollte ich analog „mal was anderes machen“, das Schreiben aber auf keinen Fall aufgeben.
Selbst zu entscheiden, was Thema ist, kreativ und humorvoll zu schreiben, ohne redaktionelle Beschränkung, das macht mir soviel Spaß, dass mein Blog in diesem Jahr noch einen „Anbau“ bekommen wird. Ein Blog, der sich aus der Hundeszene heraus bewegen wird, hinein in das pralle Leben einer Frau über 50. Überhaupt finde ich, dass es nie zu spät ist etwas Neues anzufangen.
Ich freue mich auf Deine Beiträge.
Herzlichen Gruß, von Hamburger Vorort zu Hamburger Vorort.
Birgit
Herzlichen Glückwunsch zum eigenen Blog! Schöner Vergleich zum Hausbau. Ich wünsche Dir viel Freude in Deinem Bloghaus und freundliche Gäste.
Liebe Julia,
gerade lese ich ein Baubuch. Nämlich Deines. In 9 Jahren bin ich 47. Wenn ich Glück habe sind bis dahin auch unsere Abdeckplan-Schleusen weg, verputzen kann ich im Schlaf -brauche dieses Wissen doch nie wieder- und ich kann ebenfalls einen Blog eröffnen. Wenn ich dann noch immer Spaß am Sanieren habe (wer’s glaubt..) werde ich darüber schreiben wie auch eine Frau Stromschleifen legen, Decken einziehen und mit Kaliwasserglas arbeiten kann.
Bleibt zu hoffen dass die Technik eines Blog’s dann nicht so veraltet ist das ich eine Bedienungsanleitung brauche. (*hust*)
Deiner ist spaßig, informativ und übersichtlich geworden! Damit zeigt sich, wer Hausbau und Sanierung schafft, schafft auch einen Blog. Tschakka! 😉
Alles Liebe.